Die Laudationen zu den Preisträgern

Familienleben – Bester Dokumentarfilm

Es zeugt von großer dokumentarischer wie auch erzählerischer Begabung, wenn Rosa Hannah Ziegler in ihrem Debüt FAMILIENLEBEN es schafft, gleichermaßen große Nähe und klaustrophobische Beklemmung entstehen zu lassen – dieser Film ist ungemütlich. Mit stets respektvoller Empathie portraitiert die Regisseurin eine auseinandergefallene Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs, die nur ganz allmählich beginnt, Bewusstsein zu fassen und wieder handlungsfähig zu werden. Ihre ProtagonistInnen, die in einem heruntergekommenen Bauernhof in Sachsen-Anhalt leben, sind fragil, gescheitert und wie gelähmt von ihrem Schicksal, das sich in der untergegangenen Utopie von einem anderen Leben offenbart. In intimen, sich aus den Situationen entwickelnden Szenen und in beinahe therapeutischen Figurengesprächen kommen wir zuerst dem Ex-Freund der Mutter, dann den beiden Töchtern, schließlich der Mutter nahe und begreifen das Leid und die Hoffnungslosigkeit einer fatal erscheinenden Familienbande. Rosa Hannah Ziegler lässt in starken und eindringlichen Bildern einen Kosmos von Chaos und trotziger Zärtlichkeit entstehen und zieht uns soghaft und unausweichlich in die wahre Geschichte eines eigentlich unmöglichen Familienlebens hinein.

NINA – Bester Spielfilm

Der Film überzeugt durch seine einfühlsame und authentische Sichtweise auf ein Kind, das mit den Nachwirkungen der Trennung seiner Eltern zu kämpfen hat. Fast ausschließlich aus der Perspektive des Kindes erzählt, gelingt ihm im Bruch dieses Blickwinkels nach Verschwinden des Kindes sogar eine noch stärkerer Appell darauf, wie sehr es uns allen fehlt, die Welt mit Kinderaugen zu sehen. Für diese künstlerische Regieleistung und den großartig ausgewählten Cast - allen voran Newcomerin Bibiana Nováková in der Rolle von Nina und Robert Roth in der Rolle des Vaters - vergeben wir den Hauptpreis an Juraij Lehotsky und sein Team für "Nina".

Him&Her - Bester Kurzfilm

Wir haben uns für einen Film entschieden, der seine Spielzeit wirklich ernst nimmt. Er ist sehr kurz, dabei aber genau auf den Punkt, und überzeugt durch großartiges Handwerk und eine einfache Geschichte, die jeder von uns schon erlebt hat. Wir vergeben den Preis für den besten Kurzfilm an „Him & Her“ von Nathali Lamb.

Najbrzydszy samochód swiata - Spezialpreis

Ein Roadmovie der ganz besonderen Art:
Während Bogdan mit seiner 94-jährigen Mutter nach Magdeburg reisen möchte, um einem Kapitel ihres Lebens nachzuspüren, möchte sie eigentlich die alten Geschichten ruhen lassen. Mit fast kindlicher Neugier versucht er, auf dieser beschwerlichen Reise seiner Mutter doch noch ein paar Erinnerungen abzuringen. Und das alles in einem „deutschen Auto“, das seine besten Zeiten – falls es diese überhaupt jemals hatte - bereits seit über 40 Jahren hinter sich hat und so den beiden anderen Protagonisten dieses Films immer wieder Zwangspausen abringt. So droht Bogdans Unbedarftheit auch, seine Mutter an ihre physischen Grenzen zu bringen.
Wir haben uns für einen Film entschieden, in dem auf eindrucksvolle Weise gezeigt wird, dass es sich immer lohnt, genauer hinzusehen. Weil man dann sogar hinter einer etwas maroden Fassade viel menschliche Wärme, Zärtlichkeit und respektvolles Miteinander entdecken kann. Und weil in diesem Film auf unprätentiöse Weise an ein düsteres Kapitel europäischer Geschichte erinnert wird. Und weil es Grzegorz Szczepaniak gelungen ist, so nah an Bogdan und seine Mutter heranzukommen, dass sie uns die Kamera vergessen lassen. Und doch hat er genug Distanz gewahrt, um diesen beiden bewundernswerten Menschen gerecht zu werden und vor allem, trotz - anfangs Lachsalven hervorrufender - Komik, sie nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Und weil wir am Ende miterleben dürfen, wie auch „Das hässlichste Auto der Welt“ endlich in seinen mehr als wohlverdienten Ruhestand gehen darf…