 
Jürgen Böttcher
Die meisten Dokumentarfilme leben davon, dass man ausserordentliche Leute zu sehen bekommt: seien es  		Männer/Frauen der Tat, die Grosses vollbracht haben, seien es Opfer, denen besonders Schlimmes  		wiederfahren ist.
 		Das Ereignis solcher Filme ist das, was war, was geschehen ist - lange bevor die Kamera läuft.
 		Anders in den schönsten Böttcher Filmen. Hier begegnen wir den Menschen, an denen auf den ersten  		Blick nichts besonderes ist: `Wäscherinnen` zum Beispiel, `Rangierer(n)`, Bauern Schäfer und Teppichknüpfern 		 `In Georgien`. Trotzdem schauen wir wie gebannt hin, kommen bereichert, ja beglückt aus dem Kino:  		Wie schafft Böttcher das nur, immer und immer wieder ?
 		Jürgen Böttcher wurde am 8. Juli 1931 als drittes Kind eines Lehrers in Strahwalde (Oberlausitz)  		geboren. Seine Kindheit in Strahwalde erinnert er als ländliches Idyll, in das der Krieg mit 		 schockierender Gewalt einbrach. Mit dem Ende des Krieges kommen die Greultaten der Nazis ans Licht, 		und Böttcher fühlt sich mitschuldig: 		Auch er hatte die Uniform eines Hitlerjungen getragen, wie alle Kinder im Dorf.
 		Mit 17 tritt er der kommunistischen Partei bei, will mithelfen ein Deutschland aufzubauen in dem so etwas  		nie wieder passieren kann.
								 		Seine lebenslange Zuneigung zu den `kleinen`, den hart arbeitenden Leuten speist sich aus Dankbarkeit und  		Demut. Dass er ab 1949 im zerbombten Dresden an der Akademie Malerei studieren durfte, statt wie andere  		Steine schleppen zu müssen, empfand er als ungeheueres Priveleg und Dankesschuld. 		Nach seinem zweiten Studium (Film-Regie) arbeitete er als DEFA-Dokumentarfilmer und trug diese Schuld ab 		 mit filmischen Huldigungen hart arbeitender Menschen.
 		So einen hätten Sie lieben müssen, die Oberen der DDR: Keiner sang das Lied der  		`Arbeiter und Bauern` mit soviel innerer Überzeugung. Aber es gehörte zu den Paradoxien des  		`real existierenden Sozialismus`, dass seine Machthaber gerade die am wenigsten ertragen konnten, 		 die ihre Ideale am überzeugendsten verkörperten und vorlebten. 		
Böttcher geriet ins Abseits, seine Malerei wurde gebranntmarkt, seine Filme zum Teil verboten.
 
Drei von vielen
(DDR 1961 / 33 min.)
 		Regie: Jürgen Böttcher 
 			 		 		 		
 		 		 		Poträt von drei Künstler-Freunden aus Dresden, Arbeiter die sich in ihrer Freizeit künstlerisch 		als Maler und Bildhauer betätigen. Ein sehr persönlicher Film, der drei wesentliche Momente seines 		Schaffens verbindet, den Bezug zu Dresden, den Brückenschlag zur eigenen Existenz als Maler und das 		Bekenntnis zur Jazz-Musik. 		 		 	
 
Das Experimentalfilm-Triptychon
1. Potter`s Stier
 		2. Venus nach Giorgione
 		3. Frau am Klavichord
 		(DDR 1981 / Experimentalfilm in 3. Teilen 56 min.)
 		Regie: J.Böttcher Kamera: Thomas Plenert 
 		 		 		 		
 		 		 		Das einzige Beispiel experimentellen Filmemachens, das in den offiziellen Strukturen der DEFA-Produktion 		entstanden ist. Böttcher bekennt sich zu seiner Parallelexistenz als Maler und übermalt vor laufender  		Kamera und am Tricktisch Kunstpostkarten seiner Lieblingsmaler aus der Renaissance. 		
 		Humorvoll und originel bevölkert er die historischen Vorlagen mit Figuren und Ornamenten. 		
 		Gedreht wurde in Böttchers Privatwohnung, die nebst Inventar und Balkon zum Reflexions- bze. Projektionsraum 		einer küstlerischen Selbstbefragung wird. Auf der Tonspur wird dieses für DDR-Verhältnisse eigentlich unmögliche 		Piratenstück mit einer verstörenden Collage aus Naturgeräuschen und Musikfragmenten unterlegt. 		
 		Mit seiner "Übermalungs-Trilogie" etabliert sich Böttcher als Leitfigur einer ganzen Generation filmender Maler 		der DDR, die sich ab Ende der 70´er Jahre mehr und mehr emanzipieren kann. 		 		 		
 
Rangierer
(DDR 1984 /  45 min.)
 		Regie: J.Böttcher Kamera: Thomas Plenert  
 		 		 		 		
 		 		 		Der Rangierbahnhof in Dresden-Friedrichstadt: in einer Schicht werden hier mehr als 1500 Waggons umgekoppelt, 		auch nachts, auch bei Schnee und Regen. Jürgen Böttcher begibt sich mit seinem Kameramann Th. Plenert mitten 		hinein in diesen ungastlichen Umschlagplatz, schliesst dicht auf zu den Reichsbahnern und ihrer körperlich schweren 		auch gefährlichen Arbeit. 		
 		Das Hantieren der Arbeiter zwischen den Gleisen transportiert eine Würde, wie sie in den sonst üblichen, ideologischen 		Huldigungen einer abstrakt beschorenen Arbeiterklasse nie auch nur annähernd erreicht wurde.		 		
 		Ein Film wie ein Gedicht, wie ein Musikstück. Die Originaltöne - Metall schlägt auf Metall, vereinzelt menschliche 		Stimmen zwischen Maschinen und Motoren - fügen sich zu einem Soundtrack aus konkreter Musik. 		
 
Martha
(DDR 1978 / Länge: 45 min.)
 		Regie / Buch: J.Böttcher  Kamera: W.Dietzel  		
 		 		Martha Bieder, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 68 Jahre alt, ist eine der letzten legandären "Trümmerfrauen" , 		die nach 1945 mit den primitivsten Mitteln die Grundlage für einen Neuaufbau Berlins geschaffen haben. 		
 		Noch immer kommt sie jeden Tag auf eine Kippe des Berliner Tiefbau-Kombinates, wo sie angelieferten Schutt 		nach brauch- und unbrauchbarem Material sortiert. Dem Wechsel der Tag- und Nachtzeiten setzt sie sich dabei  		ebenso ungerührt aus wie Regen, Schnee oder Sonne. 		
 		Böttcher und Kameramann Dietzel schliessen sehr dicht auf zu dieser "einfachen" Frau. Mit ihrer kräftezehrenden 		Arbeit scheint sie ungefragt jene Ideale aufrecht zu erhalten, die von der ührungsriege der DDR nur noch in 		hohlen Phrasen deklariert werden. 		
Wäscherinnen
 		 		(DDR 1972 / 23 min.)
 		Regie / Buch: J.Böttcher   		
 		 		Lehrlingsausbildung im VEB Rewatex, einer volkseigenen Grossreinigung in Berlin. Optisch von Reiz :  		die stimmungsvollen aufnahmen der Arbeiterinnen inmitten des Wasserdampfes.  		
Barfuss ohne Hut
(DDR 1965 / Länge: 26 min.)
Regie / Buch: J.Böttcher 
Böttchers vielleicht schönster Dokumentarfilm wird zur Bühne für die Hoffnungen und Lebensansprüche einer jungen Generation : Jugendliche im Sommer an der Ostsee. Sie toben durch die Wellen, necken sich, machen Musik, sprechen über ihre Zukunftspläne.
 
Jahrgang 45
(DDR 1966 / Länge: 94 min.)
 		Regie: J.Böttcher Buch: J.Böttcher / K.Poche Kamera: R.Gräf  
 		 		 		 		
 		 		 		Erster und einziger Spielfilm Jürgen Böttchers. Erzählt wird die Geschichte des jungen Automechanikers Al, 		der einige Tage Urlaub zum Anlass nimmt, um über seine Lebenssituation nachzudenken. Nach ziellosem Treiben 		durch Berlin (Ost) sowie nach Gesprächen mit seinen Eltern und einem älteren Nachbarn versucht er die Trennung  		von seiner Freundin Li rückgängig zu machen und dieser Beziehung eine neu Chance zu geben. 		
 		Hinter dem lakonischen, mitunter fast zufällig wirkenden Stil des Films verbirgt sich ein überaus hohes ästhetisches 		Niveau. 		
  		Für den Filmhistoriker Enno Petalas ist der Film denn auch "der freieste, anrührendste Spielfilm, der bei der 		DEFA je gedreht worden ist". 		 		 		
 
In Georgien
(DDR 1987 /  104 min.)
 		 		Regie: J.Böttcher Kamera: Thomas Plenert  
 		 		 		 		
 		 		 		Angeregt durch die Bilder des Malers Pirosmani begab sich J.Böttcher 1988 nach Georgien, 		um sich dort einen lang gehegten Traum zu erfüllen:
 		"In Georgien" ist sein Beitrag zum Kino der Langsamkeit geweorden. In meditativen Plansequenzen 		nähert er sich einer fremden region an, saugt geduldig Geräusche und Details ein. Dem Zuschauer schafft er  		damit weite Räume für eigene Assoziationen.
 		"Schon in der Formulierung der Idee zu diesem Film hieß es, dass darin Augenblicke - also der Blick der  		Augen, mehr erzählen werden als Worte. Dieser Film macht für mich fast die Hälfte alles Bisherige aus."
  		
J.Böttcher